sozialistischer Realismus in der bildenden Kunst: Arbeiterhelden und Traktoren

sozialistischer Realismus in der bildenden Kunst: Arbeiterhelden und Traktoren
sozialistischer Realismus in der bildenden Kunst: Arbeiterhelden und Traktoren
 
Bevor in der Sowjetunion Anfang der Dreißigerjahre der sozialistische Realismus zur allgemein verbindlichen Kunstdoktrin erklärt wurde, bestand im revolutionären Russland ein künstlerischer Pluralismus: Sozialistische Künstlergruppen setzten avantgardistische Stilmittel - etwa die Montagetechnik, die Kinetik oder das Simultanbild - für einen auf politische Zweckdienlichkeit zugespitzten Realismus ein, Abstraktion, Suprematismus und Konstruktivismus konkurrierten mit einem an den »Peredwischniki« orientierten Naturalismus. 1932 wurde dann mit Beschluss des Zentralkomitees der KPdSU ein einheitlicher sowjetischer Künstlerverband gegründet, der den kulturellen Führungsanspruch der Kommunistischen Partei durchsetzte und die Aufgabe der sozialistischen Künste festlegte: »die wahrheitsgetreue, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung«.
 
Mit der Stalin-Ära begann die Zentralisierung und Reglementierung des Kunstschaffens. Gerade die antibürgerlich ausgerichtete Avantgarde verfiel nun einem strengen Verdikt. Art und Weise der Ausführung, die Form eines Kunstwerks wurde zum »Formalismus« degradiert und sein Inhalt aufgewertet. Eine der bedeutendsten Errungenschaften der Kunst der Moderne - die Befreiung von der Aufgabe der Repräsentation und der ideologischen Dienstbarkeit für Kirche, Adel oder Bürgertum - wurde damit revidert. Für die »neuen Inhalte« der »neuen Gesellschaft« griff man auf die Stilmuster des 19. Jahrhunderts zurück, auf die Malerei von Gustave Courbet, Jean-François Millet, Constantin Meunier oder Adolph Menzel. Unverzichtbar war der positive Held der Arbeiterklasse, der in mannigfaltigen Posen den sozialistischen Fortschritt darstellen sollte. Eine Flut von Lenin- und Stalin-Porträts zeigte die Staatsmänner heroisch überhöht und unwirklich, die Forderung Lenins nach »Volksverbundenheit« und »Volkstümlichkeit« missachtend. Erst die 1956 beginnende »Tauwetterphase« unter Chruschtschow beendete diesen »unrealistischen« Personenkult, ohne jedoch die alten Motive aufzugeben: Zu der Aufarbeitung des »Großen Vaterländischen Kriegs«, der Verherrlichung der Arbeitswelt und dem bäuerlichen Genre trat als einziges neues Thema die Eroberung des Weltraums hinzu. Der sozialistische Realismus zerbrach schließlich unter dem Druck der im Untergrund wirkenden avantgardistischen Kunstszene, aber auch durch die politischen und wirtschaftlichen Misserfolge »an der Wirklichkeit«.
 
Der sozialistische Realismus wurde in all den kommunistisch regierten Ländern rezipiert, die unter der Vormacht der UdSSR standen. Besonders interessant war die Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik. Hier griff man zunächst auf Traditionen der Zwanzigerjahre zurück, auf die Kunst von Otto Dix, George Grosz oder Käthe Kollwitz. Auch führende Vertreter der 1928 gegründeten »Assoziation revolutionärer bildender Künster Deutschlands« wie Otto Griebel, Hans und Lea Grundig, Rudolf Bergander und Curt Querner prägten die Kunstszene des neuen Staates, da einige von ihnen an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst lehrten. Gerade diese Hochschule entwickelte sich dann aber zu einer dogmatischen Lehranstalt, die jeden Abweichler ausschloss, später zu einer Hochburg des parteipolitisch besiegelten Bündnisses zwischen Künstlern und Arbeiterklasse, des »Bitterfelder Wegs«. Die überbordenden Darstellungen von Arbeitsbrigaden unterschieden sich in der Schönfärberei und Typisierung kaum von den Arbeiterporträts der frühen Jahre.
 
Vor diesem Hintergrund wird die Reformleistung einiger Künstler - etwa Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig oder auch Willi Sitte - deutlich, die sich gegen die vorgeschriebene Doktrin des sozialistischen Realismus mit ganz eigenständigen Stilformen absetzten. Trotz starker Anfeindungen vonseiten offizieller Vertreter des Staates und westlicher »Kunstpäpste« zeigte die »Leipziger Schule«, dass ein neuer, vielschichtiger Realismusbegriff die engen, parteipolitisch festgelegten Grenzen des sozialistischen Realismus vor 1989 längst gesprengt hatte.
 
Dr. Hajo Düchting

Universal-Lexikon. 2012.

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  • sozialistischer Realismus — sozialịstischer Realịsmus,   eine Methode der künstlerischen Gestaltung und Kritik in der Literatur, die eng an die marxistisch leninistische Ideologie gebunden ist; auch übertragen auf andere Künste, v. a. auf die bildende Kunst.   Der Begriff …   Universal-Lexikon

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